Rede gegen Rechts

Ich habe am 30. November 2018 diese Rede im Rahmen einer Kundgebung der Plattform "Kultur und Menschlichkeit" auf dem Freistädter Hauptplatz gehalten, - wegen des schlechten Wetters leicht gekürzt. Meine Textvorlage stelle ich gerne allen Interessierten zur Verfügung!

Einleitung: Es ist Zeit, sich zu empören

Meine Damen und Herren, als ich gefragt wurde, ob ich bereit sei, heute hier zu reden, habe ich spontan zugesagt, um mich selber zu zwingen, aus der Kuschelecke herauszukommen. Man gewöhnt sich nämlich viel zu schnell daran, dass in unserem Land am laufenden Band rote Linien, oder besser: braune Linien übertreten werden. Die Gefahr der Abstumpfung oder Resignation ist groß. Ich bin angekündigt als Kabarettist, es wird aber keine lustige Rede. Ich will mir aber bei aller Entschlossenheit eine heitere Grundstimmung nicht nehmen lassen. Wir sollten den Hass der Rechten nicht mit Gegenhass beantworten. Genau darauf warten sie. Sie kennen nichts anders. Wir schon.

Ich habe in den 70er Jahren in Wien Geschichte studiert, mein Hauptinteresse galt der Frage: Wie war Hitler möglich? Wie konnte ein hoch entwickeltes Deutschland zurückfallen in die Barbarei? Ich habe ein paar Antworten gefunden und mit meinen Schülern oft diskutiert. Und doch bin ich jetzt davon überrascht, wie aktuell das alles wieder ist: Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus, autoritäre Führerfiguren ... Der Autor Michael Köhlmeier sagte in einer großartigen Rede am 4. Mai dieses Jahres vor der gesamten Politprominenz des Landes: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien, für eine große Empörung!"

Es ist an der Zeit, sich zu empören, um die kleinen bösen Schritte in unserem Land zu stoppen. Dazu braucht man nicht sehr viel Mut: Wir leben noch immer in einem freien, schönen und reichen Land. Aber das ist nicht nur die Leistung der Österreicher, sondern auch ein Ergebnis der Tatsache, dass die Sieger über Hitler sich nicht an uns gerächt haben, eine Seltenheit in der Geschichte. Im Gegenteil: In Form des so genannten Marshall-Planes haben die USA der Wirtschaft Österreichs großzügig auf die Beine geholfen. Dazu kam noch das große Glück des Staatsvertrags 1955. In Österreich nach 1945 geboren zu sein und leben zu dürfen ist ein Lotto-6er der Geburtslotterie. Nur wer keine Ahnung von Geschichte hat, kann der Meinung sein: "Wir Österreicher sind so tüchtig, und haben unseren Wohlstand ganz allein geschaffen. Wir müssen uns abschotten gegen die Armen dieser Welt, die wollen uns das jetzt wieder wegnehmen." Genau das Gegenteil ist richtig: Ohne Hilfe anderer stünde unsere Wirtschaft heute vielleicht nicht besser da als die in Tschechien oder Ungarn, würden österreichische Frauen in reicheren Ländern alte Menschen betreuen, um ein wenig Geld nach Hause zu schicken. Wir haben jeden Grund, dankbar zu sein, und keinen Grund, gegenüber Menschen mit weniger Glück, derart hartherzig und zynisch aufzutreten, wie es derzeit geschieht.

Ich möchte nun zwei Fragen historisch behandeln, und am Schluss noch ein wenig in die Zukunft blicken.
1) Was heißt politisch "rechts" und warum sollte man dagegen aufstehen?
2) Worin besteht der Rechtsruck in Österreich?
3) Wie kann es, wie soll es weitergehen? Einige Schlagworte


1) Was heißt politisch "rechts" und warum sollte man dagegen aufstehen?

Das Rechts-Links-Schema soll man nicht benützen, um Menschen abzuqualifizieren und in eine Ecke zu stellen. Es ist aber durchaus brauchbar. Es gibt zwar auch Leute, die sagen, das RL-Schema sei überholt oder sie stünden gar nirgends oder irgendwie in der Mitte. Diese Leute kennen sich entweder nicht aus, oder wollen nicht zugeben, dass sie rechts stehen. Das RL-Schema ist historisch leicht erklärt: Es stammt von der Sitzordnung im französischen Parlament im Zuge der Revolution 1789. Rechts saßen jene, die das alte Ständesystem verteidigten, die Ansicht nämlich, dass man in einen Stand hineingeboren wurde. Wer Glück hatte, wurde als Kind von Adeligen geboren, wer Pech hatte, - und das war die große Mehrheit, als Kind von Bauern oder Bürgern. Links saßen jene, die von der Gleichheit aller Menschen ausgingen, die sich dafür einsetzten, dass alle Menschen gleiche Rechte und Chancen haben sollen. Rechts steht man also, wenn man meint, Menschen sind ungleich und das ist gut so, das müsse so bleiben. Für die angebliche Ungleichheit der Menschen wurden in der Geschichte verschiedene Gründe angegeben.

a) Die Ungleichheit aufgrund der Geburt: Dieses Thema ist bei uns erledigt, das Modell einer ständischen Gesellschaft mit der Herrschaft des Adels ist untergegangen.

b) Ungleichheit aufgrund des Besitzes: Es tauchte aber bald ein neuer Grund auf, warum die Ungleichheit eher noch zunahm: Im 19. Jahrhundert kam das kapitalistische Wirtschaftssystem, das heute die Welt beherrscht, so richtig ins Rollen. Das Geld, das Kapital, wurde nun Hauptursache der Ungleichheit. Es entstand eine reiche Oberschicht, eine Art Geldadel, der es verstand und bis heute versteht, die Politik zum eigenen Vorteil zu steuern. Dagegen entstanden im 19. Jh. die sozialistischen, kommunistischen und christlichsozialen Bewegungen. Es ist zwar gelungen, das Elend der Massen - wenigstens bei uns - aufzuheben, weil sich die kapitalgetriebene Wirtschaft als ungeheuer produktiv erwies, die Ungleichheit ist aber längst nicht beseitigt, sondern nimmt nach wie vor zu. Die aktuellste Zahl, die ich gefunden habe, stammt aus dem Jahr 2016: Die 62 reichsten Menschen besitzen genauso viel, wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Die Schere geht immer weiter auf. Das ist verrückt und gefährlich, bedroht Demokratie und Umwelt. Da kann man nur sagen: wir brauchen mehr Gleichheit, also linke Politik. Die Wirtschaftspolitik der Rechten kann man auch verstehen als Ablenkungsmanöver: Anstatt wirklich für Gerechtigkeit und Fairness zu sorgen, wie alle Parteien auf ihren Plakaten behaupten, etwa durch höhere Besteuerung des unglaublichen Reichtums, durch Vermögens- und Erbschaftssteuern, durch Schließung von Steueroasen und eine Beschränkung der Finanzspekulation, hetzt man die Opfer gegeneinander auf: Unsere ärmere Schicht gegen noch ärmere Ausländer und Asylanten. Wenn die Leute glauben, dass sowieso an allem die Ausländer Schuld sind, merken sie nicht, dass Politik für die Reichen gemacht wird. Die bezahlen ja auch die Wahlkämpfe und verschaffen einem tolle Jobs. Unsere Regierung kürzt bei den kleinen Leuten: Notstandshilfe, Mindestsicherung, Integrationsprojekte, etc. und nützt Hetze gegen Ausländer, um davon abzulenken.

c) Ungleichheit aufgrund von Nation und Rasse: Ende des 19. Jhs. behauptete man plötzlich, die Wissenschaft habe festgestellt, die Menschen seien doch nicht gleich, es gäbe edlere und weniger edle Völker und Rassen. Man verallgemeinerte Details der Evolutionslehre und übertrug sie auf den Menschen. Und schwups spielte das Blut wieder eine große Rolle: Das Leben war auf einmal ein ewiger Kampf, in dem das Recht des Stärkeren gälte. Dieser biologische Unsinn vermischte sich nun mit einer weiteren Modeströmung des 19. Jhs., dem Nationalismus, zu einem giftigen Cocktail: Dem Rassismus. Politisch umgesetzt wurde dieses Programm von den Faschisten in mehreren Ländern und seiner extremsten Spielart, dem Nationalsozialismus. Das edelste Volk habe das Recht, die anderen zu unterwerfen. Rücksichtnahme auf Schwächere, Nächstenliebe, Gewissen, Demokratie - alles feiges Geschwätz von Schwächlingen. Ein radikaler Kulturbruch, eine Abwendung von allem, was das Abenland ausmacht: Christentum, Humanismus, Aufklärung. Das Ergebnis kennen wir. Zwei Weltkriege, 80 Millionen Tote, unbeschreibliches Elend. Das sollte eigentlich reichen! Übrigens: Die These vom Leben als Kampf wurde eindrucksvoll widerlegt. Die Evolution funktioniert genau umgekehrt: Jeder Fortschritt von der kleinsten Zelle bis hinauf zu ganzen Völkern ist nur möglich durch mehr Kooperation, Zusammenarbeit. Solidarität und Nächstenliebe sind ein Evolutionsvorteil, das lässt sich heute wissenschaftlich beweisen. Der Begriff Rasse wurde von Biologen bei der Beschreibung des Menschen fallengelassen. Es gibt keine Menschenrassen, die Rassisten verwendet einen Begriff, der nur in ihrer Phatasie existiert. Nur ging es den Faschisten ohnehin nie um Wissenschaft. Sie suchten bloß eine Rechtfertigung für ihren Größenwahn und ihren Hass. In Wahrheit ist ein Neonazi ein schwer gestörter Mensch mit einem verkorksten Seelenleben, der dringend eine Therapie brauchte. Nur, solange er davon nichts wissen will, ist er brandgefährlich.

2. Kann man in Österreich von einem Rechtsruck sprechen? Wer ist verantwortlich?

Die Antwort ist ein klares Ja. Ich möchte drei Schritte in Richtung rechts unterscheiden. Den ersten verantwortet Jörg Haider, der die FPÖ ab 1986 von einer wirtschaftsliberalen Partei in eine aggressive ausländerfeindliche rechtspopulistische Partei umwandelte. Er nützte systematisch die Hetze gegen Ausländer, um Wähler anzulocken. Zugleich hauchte er dem braunen Untergrund der FPÖ wieder neues Leben ein. Dazu nur zwei Beispiele: Das Anti-Ausländer-Volksbegehren "Österreich zuerst" von 1993, das von knapp 420.000 Österreichern unterschrieben wurde, und eine Rede im Wahlkampf 1995 in Knittelfeld, bei der er die im Saal versammelten Mitglieder der Waffen-SS inklusive verurteilter Kriegsverbrecher als Vorbilder an Anständigkeit und Charakterfestigkeit hinstellte. Der zweite Schritt war der Eintritt der FPÖ in die Regierung Schüssel - Rieß-Passer im Jahr 2000. Heute noch laufen Korruptions-Prozesse gegen damalige FPÖ-Politiker, noch lange zahlen wir Milliarden für die Hypo-Alpe-Adria, der "Haider-Hausbank". Mit diesem Geld könnte man auf Jahrzehnte hinaus eine ausgezeichnete Integrationspolitik finanzieren. Den dritten Schritt haben wir nun mit der Regierung Kurz-Strache erreicht. Auch hier nur einige Beispiele für den Rechtsruck in Österreich.
* In erster Linie ist hier natürlich die so genannte Ausländerpolitik zu nennen. An allem sind die Ausländer schuld, für die Nazis waren das die Juden. Was heute die Gefahr der "Islamisierung Europas" ist, war in der Nazizeit die "jüdische Weltverschwörung". Gewiss: Migration ist ein Problem. Das muss geregelt werden. Warum aber steigt dann Österreich aus dem UNO-Migrationspakt aus, und stellt sich in eine Reihe mit Trump, Salvini und Orban? Die Antwort ist klar: Das Feindbild Ausländer muss erhalten bleiben. Das bringt den nächsten Wahlerfolg. Integration darf nicht gelingen. Flüchtlinge muss man abschieben, auch wenn sie gut integriert sind. Da können Firmen oder Gemeinden noch so sehr protestieren.
* Feindbild dieser Politik sind auch die so genannten Gutmenschen, eine besonders infame Wortkreation. Sie unterstellt nämlich, dass Menschen, die sich ihre Menschlichkeit erhalten haben, naiv und dumm seien. Kanzler Kurz sprach von "NGO-Wahnsinn" im Mittelmeer. Er unterstellte, dass NGO's wie "Ärzte ohne Grenzen" Mitschuld daran seien, dass sich Menschen aus Afrika überhaupt auf den Weg nach Europa machen. Geht es noch zynischer? In der Nazizeit nannte man Mitleid mit Verfolgten "Humanitätsduselei". Auf den Punkt brachte es der Delegationsleiter der ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament, Otmar Karas. Er nannte diese Ausländerpolitik "erschreckend und widerwärtig".
* Die FPÖ bringt immer wieder Leute mit Nazi-Gesinnung in höchste Ämter: Ein Herr Hubert Keyl hätte Richter im Verwaltungsgerichtshof werden sollen. Bis man draufkam, dass er gute Beziehungen zu extrem Rechten wie Gottfried Küssel hat, und seine Meinung zur Seligsprechung von Franz Jägerstätter bekannt wurde: "Verräter soll man nicht selig sprechen, sondern verurteilen." Hätten wir nicht einen Bundespräsidenten Van der Bellen, sondern Hofer, dann hätten wir jetzt einen Verwaltungsrichter, der die Enthauptung Jägerstätters durch die Nazis richtig findet.
* Herbert Kickl, Mastermind der FPÖ, Wahlstratege und Autor der Reime auf den Plakaten, wurde Innenminister, und ist verantwortlich für den Reim "Daham statt Islam". Was heißt das? Er sagt damit 700.000 Österreichern, sie sollen sich bei uns nicht zu Hause fühlen. Glaubt jemand wirklich, dass es so gelingt, muslimische Mitbürger zu mehr Integration zu motivieren?
* Und was ist mit Bundeskanzler Kurz und seiner türkisen ÖVP, der sich in Interviews noch immer zu den christlichsozialen Wurzeln seiner Partei bekennt? Wo sind die geblieben? Sieht er nicht, dass er dabei ist, das Image Österreichs als freundlichen Brückenbauer zu verspielen, dass wir inzwischen als Vorreiter eines egoistischen Nationalismus gelten, die Hauptursache für zwei Weltkriege? Der dumme Gedanke, jeder soll zunächst an sich selber denken, führt zum Zerfall jeder Gemeinschaft, der EU und der UNO sowieso. Wo ist die ÖVP eines Alois Mock, die sich für die europäische Integration eingesetzt hat? Ist der Erfolg bei Wahlen wirklich wert, dass man die Grundlagen der eigenen Bewegung derart schamlos verrät?

3. Wie kann es, wie soll es weitergehen? Einige Schlagworte

* Optimismus: Wir sollten optimistisch bleiben. Ich glaube, dass die meisten Österreicher aus den Gräueln des 20. Jhs. gelernt haben. Wir haben Demokratie, Rechtsstaat, Meinungs- und Pressefreiheit, wir haben - ganz wichtig - einen öffentlich-rechtlichen ORF, wir sind Teil der EU. Darauf müssen wir achten. Und vor allem: Wir sind mehr und wir haben die besseren Argumente!
* Christentum: Ich glaube, dass die Kirchen dazugelernt haben. Sie standen noch vor 100 Jahren sehr weit rechts, der Gegner war der "atheistische Marxismus", Hitler hat man lange Zeit übersehen. Das hat sich geändert. Es gibt heute weniger, die in die Kirche gehen, aber mehr, die kapiert haben, dass der Kern des Christentums die praktische Menschlichkeit ist und dass es schön ist, gemeinsam mit anderen für dieses Ziel einzutreten.
* Globalisierung: Wir sind global aufeinander angewiesen in Freud und Leid. Wir können die Zukunft nur gemeinsam meistern. Es gibt keine Ausländer, die uns nichts angehen. Es wurde z.B. ein Marshallplan für Afrika vorgeschlagen, nicht als edle Spende, sondern als Wiedergutmachung dafür, dass der Norden den Süden seit Jahrhunderten ausplündert.
* Asyl ist ein Menschenrecht und Migration ein ganz normales Verhalten der Menschheit. Das muss natürlich geregelt werden, aber aus dem Geist der gegenseitigen Hilfe, und nicht der Abschottung.
* Integration: Integration ist nicht immer leicht, aber wenn sie gelingt, und ich unterrichte Kinder mit Migrationshintergrund, ist das ein Gewinn für alle Beteiligten.

Ich möchte schließen mit einem Blick auf den Hauptplatz. Hier steht eine Krippe. Was ist eine Krippe? Ein Unterschlupf, ein Asyl für Maria, Josef und das Kind. Ist das nicht ein ganz starkes Bild dafür, worum es wirklich geht? Dass man auf der Seite des Lebens steht, und vor allem zunächst denen hilft, die es am Schwersten haben. Ob ich dazu Solidarität sage, weil ich Sozialist bin, oder Nächstenliebe, weil ich Christ bin, oder einfach Menschlichkeit: Wichtig ist, dass wir es tun, gemeinsam, grenzenlos. Für das Kind in der Krippe, die Kinder auf dem Boot im Mittelmeer, für alle Kinder dieser Welt.

Wir müssen wachsam sein, aber dürfen nicht verkrampfen.
Wir sollen locker bleiben, aber nicht locker lassen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! (Ernst Aigner, 29. 11. 2018)